Das neue Schreckgespenst: Kohlelobby argumentiert mit AfD-Gefahr

Nach Massenarbeitslosigkeit, dem Blackout des Stromnetzes, horrenden Strompreisen und der Deindustrialisierung Deutschlands macht ein neues Schreckgespenst die Runde: “Wenn Ihr den Kohleausstieg beschließt, gewinnt die AfD im nächsten Jahr in der Lausitz alle Wahlen.” Das verunsichert derzeit am meisten diejenigen, die nicht in der Lausitz zuhause sind und es nicht mit der Realität vergleichen können. Gehen wir der Sache also mal genauer nach:

Wo das Argument herkommt, ist schnell geklärt. Im Umfeld der Konstituierung der Kohlekommission wurde es von den Ministerpräsidenten Sachsens und Brandenburgs verwendet, der Vorsitzende des Vereins Pro Lausitzer Braunkohle platzierte es in einer WELT-Reportage, die an diesem Wochenende erschien. Zufall kann also ausgeschlossen werden, es handelt sich um eine abgestimmte Kampagne direkt aus dem Herzen der Kohlelobby. Aber könnte inhaltlich etwas dran sein?

Entgegen vieler kursierender Behauptungen gibt es bei den Rekordergebnissen der AfD bei der Bundestagswahl 2017 keine Belege dafür, das Kohle für große Anteile der Lausitzer Wähler das letztlich wahlentscheidende Thema gewesen wäre. In dem Dorf mit dem höchsten AfD-Ergebnis im Spree-Neiße-Kreis (40%) befragte die Lausitzer Rundschau kurz nach der Wahl die Menschen und bekam eine breite Vielfalt an Themen zu hören, im Vordergrund stand dabei selbst hier das Thema Flüchtlinge. („Wir sind ein abgehängtes Dorf“ Lausitzer Rundschau, 27.09.2017) Das Gefühl abgehängt zu sein, kann in Heinersbrück freilich auch an der Kohle liegen. Der Ort liegt zwischen Kohlebahn und dem Tagebau Jänschwalde, für Jahrzehnte ist die Welt östlich des Dorfes zuende und das frühere Nachbardorf Horno wurde auf die andere Seite des großen Loches umgesiedelt. Doch zur Sprache kam das in der Lausitzer Rundschau nicht und 39,5 % fuhr die AfD auch in einem Dorf ein, wo man nur aus der Ferne die Dampfwolke der Kraftwerkskühltürme sieht.

Wenn wir über die wahrscheinlich wenigen reden, die tatsächlich kohlepolitisch wählen, ist Unsicherheit über die Zukunft wohl ein stärkerer Nährboden für Politikverdrossenheit und Protestwahl, als es ein klarer Ausstiegsfahrplan wäre. Den fordern bekanntlich selbst die Zulieferer der Kohlewirtschaft um für ihre Unternehmen planen zu können. Wer keinen Ausstiegsfahrplan beschließt, trägt diese Unsicherheit ins Wahljahr 2019 und hilft erst recht der AfD mit Ängsten Politik zu machen. Die Vorstellung, dass sich dabei fünf oder zehn Jahre längerer Betrieb dieses oder jenes Kraftwerkes in weniger Prozenten für die AfD niederschlagen könnte, kann getrost als absurd bezeichnet werden. Was fehlt ist vor allem das Vertrauen, dass die etablierte Politik überhaupt etwas geregelt bekommt.

Die Arbeitsmarktzahlen sind auch in der Lausitz so gut wie seit der Wiedervereinigung nicht. Die Stimmung könnte also auch viel positiver sein, als meist vermittelt wird. Doch die jahrelange Propaganda der Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg, des Pro- Braunkohle-Vereins und weiterer Akteure haben den Kohleausstieg zum Untergang des Abendlandes hochstilisiert und die Lausitz zum Opfer der Berliner Politik. Das sollte vermutlich mobilisieren, aber es passt viel zu gut zur Weltsicht der AfD, als dass man sich wundern dürfte, wenn sie die politische Ernte dieser Kampagnen einfährt. Wenn Lausitzer CDU- und SPD-Politiker Stimmung gegen den Kohleausstieg machen, vermitteln sie manchmal den Eindruck, sie würden am liebsten auch den Klimawandel in Frage stellen. Das können sie aber wegen der Programme ihrer Bundesparteien nicht. Ist es überraschend, wenn von ihnen über Jahre aufgestachelte Menschen jetzt lieber das Original wählen, die echten Klimaskeptiker von der AfD?

Das ehrliche Fazit ist: es gibt keine Energiepolitik, mit der man die in der Lausitz derzeit starke AfD kurzfristig wesentlich zurückdrängen könnte, weil ihr Wahlergebnis kaum von energiepolitischen Entscheidungen abhängen wird. Mittel- und langfristig sind Klarheit über den Ausstiegsfahrplan und eine positive Stimmung in der Region statt ständiger Weltuntergangspropaganda aber wichtige Voraussetzungen für das weitere demokratische Zusammenleben in der Lausitz.

René Schuster

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Dieser Wald ist der Kohlegrube im Weg

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Lausitzer Menschen für einen früheren Kohleausstieg

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