Rundbrief vom 29. Mai 2019

  1. Das Lausitzer Wahlergebnis aus Kohle-Sicht
  2. SPD Brandenburg für Kohleausstieg vor 2038?
  3. Brandenburger Energietag: Klimaproteste fordern Rettung des Dorfes Proschim vor dem Kohleabbau
  4. Bundesregierung beschließt Eckpunkte für Strukturwandelgesetz
  5. Klage gegen Cottbuser Ostsee eingereicht
  6. Angriffe auf Kommunalwahlkandidat in Neustadt/Spree
  7. Ausstellung zu Wasserrückgang eröffnet
  8. Die Lausitz auf den Berliner Energietagen
  9. Wir am 2. Juni auf dem Umweltfestival

171031 Proschim 9536 ideengruen1. Das Lausitzer Wahlergebnis aus Kohle-Sicht

Fangen wir mal nicht bei Europa an: Auch der Ortsbeirat des vom Tagebau bedrohten Proschim wurde neu gewählt. Die Zeichen stehen klar auf weiteren Widerstand gegen den Tagebau: Anders als 2014 trat erst gar keine Wählerliste mehr an, die sich für die Umsiedlung einsetzt.

Bei der Europawahl kam der Erfolg der AfD in der Lausitz nach den Bundestagsergebnissen von 2017 eigentlich nicht überraschend. Mehr als 30% bei der Europawahl erreichte die AfD in einem geschlossenen Gebiet, das weit über das Kohlerevier hinausgeht und die Landkreise Görlitz, Bautzen, Meißen, Sächsische Schweiz/Osterzgebirge und Spree-Neiße umfasst, stärkste Kraft wurde sie in acht brandenburgischen Landkreisen und zwei kreisfreien Städten. Den Kohleausstieg für dieses Ergebnis verantwortlich machen zu wollen, wäre da eindeutig zu tief in der Kiste der Lobby-Erzählungen gekramt. Zudem gab es erneut die höchsten AfD-Ergebnisse in Orten, die seit Jahrzehnten unter der Randlage am Tagebau leiden wie Grötsch und Heinersbrück am Tagebau Jänschwalde. Sich abgehängt zu fühlen hat viele Gesichter, die Grubenkante ist eins davon.

Die AfD hat durchaus in den letzten Monaten verstärkt versucht, mit Klimaskepsis und Energiepolitik zu punkten. Aber wo ihr das gelungen sein sollte, fährt sie nur die Ernte dessen ein, was die sächsischen und brandenburgischen Landesregierungen über mehr als zehn Jahre gesäht haben, als sie mit der geballten Macht ihrer Regierungs-PR die Unverzichtbarkeit der Braunkohle in jedes Lausitzer Hirn zu hämmern versuchten. Dass der Durchschnitts-Lausitzer die Abhängigkeit der Region von der Kohle um Größenordnungen überschätzt, dafür haben die Braunkohle-Populisten Platzeck, Woidke, Tillich und Kretschmer selbst gesorgt. Nach den Milliarden-Zusagen im Bericht der Kohlekommission vom 26. Januar schlagartig von der Botschaft „ohne Kohle wird die Lausitz untergehen“ auf eine Art „Wir schaffen das“ umzuschalten, kam definitiv zu spät und ist eben auch nur mäßig glaubwürdig.

Die bundesweit größten Gewinner der Wahl, Bündnis90/Die Grünen, legten auch in der Lausitz zu, hier allerdings auf niedrigerem Niveau. Im gesamten Spree-Neiße-Kreis stieg ihr Stimmenanteil auf 6,35 %, in Cottbus und Guben lag er bei rund 10 %, in der Gemeinde Schenkendöbern sogar bei 11,25%.

Bei der Kommunalwahl fielen die AfD-Ergebnisse durchweg geringer aus, hier gab es mit verschiedensten Bürgerlisten zahlreiche weitere Alternativen zu den „etablierten Parteien“. Die 2007 als tagebaukritischen Bürgerinitative gegründete Klinger Runde zog zum dritten Mal in Folge in den Kreistag Spree-Neiße ein, obwohl kaum Wahlkampfaktivitäten zu beobachten waren. Die Grünen gewannen einen zweiten Sitz hinzu. Mit Monika Schulz-Höpfner (CDU) und Steffen Krautz (SPD) sitzen weitere langjährige Kritiker neuer Tagebaue erneut im Kreistag.

Auch in der Cottbuser Stadtverordnetenversammlung gewinnen die Grünen einen Sitz hinzu, erneut ziehen über zwei verschiedene Listen auch zwei Mitglieder der Umweltgruppe Cottbus ins Stadtparlament ein. (Foto: ideengruen)

2. SPD Brandenburg für Kohleausstieg vor 2038?

Es hätte ein echter politischer Paukenschlag werden können: Beim Landesparteitag der SPD Brandenburg (!) am 11. Mai hat der Jugendverband der Partei einen Kohleausstieg bis 2030 gefordert und einen entsprechenden Änderungsantrag zum Landtagswahlprogramm eingereicht. Doch der Antrag wurde abgemildert und nun heißt es im beschlossenen Wahlprogramm: „2038 ist das Minimalziel. Wir werden in der Landesregierung alles unternehmen, die Schaffung neuer zukunftssicherer Arbeitsplätze so zu forcieren, dass ein früherer Ausstieg erreichbar wird.“

Solche Parteitagsdebatten hatte es bisher nur beim Koalitionspartner, der Linken gegeben. Sie endete jedoch auch diesmal auf die klassische Weise: Der Antrag wurde so umformuliert, dass er keine konkreten Folgen für das Regierungshandeln haben muss. Zumal die Regierung auch selbst entscheiden wird, was sie für „erreichbar“ hält. Aussagen zu Proschim und dem Braunkohlenplan Welzow-Süd existieren im Wahlprogramm nicht.

Die SPD Brandenburg bleibt vorerst die Partei des früheren Braunkohlenausschuss-Vorsitzenden Woidke, der sich die frühere Braunkohleplanerin Schneider wie den früheren LEAG-Aufsichtsrat Steinbach ins Kabinett geholt und den ehemaligen Bergamtspräsidenten zum Lausitz-Beauftragten gemacht hat. Dass sie sich vor der Parteibasis für ihre Kohlepolitik rechtfertigen muss, ist allerdings neu und vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung.

3. Brandenburger Energietag: Klimaproteste fordern Rettung des Dorfes Proschim vor dem Kohleabbau

Anlässlich des Brandenburger Energietages am Freitag, dem 24. Mai in Cottbus forderten Fridays for Future Cottbus und weitere Gruppen von der Landesregierung mehr Klimaschutz und die sofortige Rettung des Dorfes Proschim vor dem Tagebau. Der Protest richtete sich vor allem an die Brandenburgische Landesregierung und den beim Energietag anwesenden Wirtschaftsminister Jörg Steinbach. Die Leitung der Cottbuser Universität hatte allerdings erstmals den Platz vor dem Veranstaltungsort des Energietages verweigert, so dass die Demonstranten auf einen Platz in die Innenstadt ausweichen mussten.

„Solange die Landesregierung Proschim nicht gerettet hat, braucht sie das Wort Klimaschutz nicht in den Mund zu nehmen. Statt Vorträge zu halten, sollte der Wirtschaftsminister endlich handeln und Proschim noch vor den Landtagswahl eine sichere Zukunft garantieren. Wir fordern Zukunft statt Braunkohle!“ sagte Konstantin Gorodetsky von Fridays for Future Cottbus.

Die Menschen in Proschim sollen als Verhandlungsmasse missbraucht werden: Die LEAG-Eigner, zwei tschechische Milliardäre wollen sich offenbar das Ende von Welzow-Süd II von der Bundesregierung bezahlen lassen. Auf einem an die Teilnehmer des Energietages verteilten Infoblatt heißt es: „Hält die Landesregierung die Entscheidung über Welzow-Süd II solange offen, macht sie sich zum Erfüllungsgehilfen der Oligarchen und die Proschimer zu deren Geiseln.“

Die Entscheidung der Universitätsleitung, die Schülerproteste auszusperren, ist ein Armutszeugnis für Cottbus und die Lausitz. Wo sich zwei Tage vor einer Wahl ein Minister produzieren darf, sollten auch Gegenmeinungen zugelassen sein. Die Umweltgruppe Cottbus hat fast in jedem Jahr Mahnwachen vor dem Energietag abgehalten – polizeilich angemeldet, auf dem Universitätsgelände und ohne dass jemals Probleme auftraten. Es ist absurd, das anlässlich von Schülerprotesten plötzlich zu unterbinden. Eine Universität, die Angst vor der Jugend hat, sollte ihr Selbstverständnis überprüfen.

Gemeinsam mit der Cottbuser Fridays for Future-Gruppe beteiligten sich Mitglieder von BUNDjugend, Internationaler Jugend und der GRÜNE LIGA Umweltgruppe Cottbus an der Aktion.

4. Bundesregierung beschließt Eckpunkte für Strukturwandelgesetz

Am 22. Mai beschloss das Bundeskabinett ein Eckpunktepapier für die Umsetzung der Strukturwandel-Empfehlungen der sogenannten Kohlekommission. Ein Gesetzentwurf soll in Kürze folgen, denn die Bundesregierung „strebt an, ihn bis zur Sommerpause zu beschließen“. Das liefe allerdings darauf hinaus, die Strukturhilfen für die Reviere vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg zu beschließen. Der Kohleausstieg, der damit ausgeglichen werden soll, würde dann erst nach den Landtagswahlen diskutiert. Wie der Kohleausstieg dann noch „Grund und Bedingung für die strukturpolitische Unterstützung (...)“ sein soll, ist nicht ganz klar. Die Kohlekommission hatte den engen Zusammenhang zwischen beiden Maßnahmepaketen jedenfalls immer wieder betont.

Dem Eckpunktepapier sind als Anlage Leitbilder für die drei Braunkohlenreviere beigefügt. Wer dabei eigentlich das Leitbild der Lausitzer diskutiert und entschieden hat, ist nicht ersichtlich. Eine breite öffentliche Diskussion dazu hat es in der Region jedenfalls nicht gegeben.

5. Klage gegen Cottbuser Ostsee eingereicht

Die Stadtverwaltung Frankfurt (Oder) und die FWA Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft mbH gaben am 13. Mai 2019 mit einer Pressemitteilung bekannt, dass sie beim Verwaltungsgericht Cottbus Klage gegen die Genehmigung zur Flutung des Cottbuser Ostsees eingereicht haben. Das hatten sie bereits im Vorfeld des Planfeststellungsbeschlusses vom 12. April 2019 angekündigt.

Der spätere See wird mit einer genehmigten Sulfatkonzentration bis zu 620 mg/l deutlich über der Konzentration in der Spree liegen. Die FWA mbH versorgt 65.000 Einwohnerinnen und Einwohner von Frankfurt (Oder) und umliegenden Gemeinden mit Trinkwasser nahezu ausschließlich über das Wasserwerk in Briesen. Das Trinkwasser wird wegen der begrenzten Grundwasservorkommen zu 75 Prozent aus versickertem Spreewasser gewonnen.

Um dauerhaft sicher Trinkwasser gemäß der TrinkwV zu liefern, welche einen Grenzwert von 250 mg/l vorsieht, hat der Aufsichtsrat der FWA im März 2019 den Bau des Wasserwerkes in Müllrose beschließen müssen. Mit der Klage soll die Genehmigung des „Cottbuser Ostsees“ unter den Vorbehalt gestellt werden, dass diese für die Trinkwasserversorgung notwendigen Investitionen verursachergerecht finanziert werden. Neben der Klage wurde ein Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Genehmigung gestellt. Alle Maßnahmen zur Flutung des Cottbuser Ostsees sind de facto unumkehrbar.

6. Angriffe auf Kommunalwahlkandidat in Neustadt/Spree

Nach dem verbalen und körperlichen Angriff auf einen Gemeinderatskandidaten in Neustadt/Spree (Sachsen) befürchten die Betroffenen, dass Kritiker der Kohleverstromung durch Einschüchterung von politischem Engagement ferngehalten werden sollen.

Am 19.04. wurde ein Gemeinderatskandidat der Grünen Liste Spreetal und bekannter Tagebaukritiker aus Neustadt/Spree nahe seines Grundstücks verbal und körperlich angegriffen. Der im Ort lebende Angreifer wollte ihm so das Betreten von Privatwald verwehren. Die Versuche, den Anwohnern und dem Verein „Eine Spinnerei – vom nachhaltigen Leben e.V.“ den Zugang zum direkt angrenzenden Wald zu versperren, begannen, nachdem im Februar Mitglieder des Vereins ihre Kandidatur zum Gemeinderat eingereicht hatten. Zunächst blieb es bei einer Barriere aus Baumwurzeln und Gartenschnitt quer über einen Waldweg. Am 19. April kam es dann erstmals zum tätlichen Angriff. Es wurde Strafanzeige gestellt.

„Wir vermuten einen Zusammenhang zwischen diesen Vorfällen und unseren Kandidaturen zum Gemeinderat.“, sagt Friederike Böttcher, ebenfalls Kandidatin auf der Grünen Liste und Vorsitzende des Vereins. „Wir fragen uns, ob wir derart eingeschüchtert werden sollen, dass wir keinen Mut mehr haben uns politisch zu beteiligen. Außerdem können wir nun nicht mehr für die Sicherheit unserer Familien und unserer Besucher in den anliegenden Wäldern garantieren.“

Fußgängern das Betreten von Wäldern und Wiesen zu untersagen, ist nicht zulässig: „Das Betreten der freien Landschaft auf Straßen und Wegen sowie auf ungenutzten Grundflächen zum Zweck der Erholung ist allen gestattet.“ heißt es etwa in Paragraph 59 des Bundesnaturschutzgesetzes.

Das Verbot den Privatwald zu betreten, sperrt den Bewohnern, Vereinsmitgliedern und Gästen der Spreewitzer Straße 5 auch den einzig sicheren Fußgängerweg nach Neustadt. Alle Anfragen der Bewohner für die Schaffung eines alternativen Fußgängerweges entlang der Straße wurden bisher jedoch von der Gemeinde Spreetal auch unter Verweis auf den Waldweg abgelehnt.

Aufgrund der Vorfälle sagt der Verein seinen Kräuterworkshop am kommenden Samstag trotz vieler Anmeldungen aus der Gemeinde ab. „Im Zuge der Errichtung der Barriere wurden leider auch Gäste auf unserem Vereinsgelände lautstark vom anliegenden Waldgrundstück beschimpft“, sagt Böttcher. „Wir können weitere Übergriffe nicht ausschließen.“

Der Verein „Eine Spinnerei – vom nachhaltigen Leben e.V.“ ist ein gemeinnütziger Umweltbildungsverein, der seit 2012 in der Gemeinde Spreetal regelmäßig Veranstaltungen für Erwachsene und Kinder anbietet. (Pressemitteilung des Vereins vom 2. Mai 2019)

Inzwischen berichtete die Lausitzer Rundschau auf ihrer Lokalseite über die Vorfälle, die offenbar mit Billigung durch den Ortsvorsteher erfolgten.

7. Ausstellung zu Wasserrückgang eröffnet

Die Kirchengemeinde Guben eröffnete am 22. Mai in der Karpfenschänke am Pinnower See eine Ausstellung zum Wasserrückgang der Badeseen um Guben in den zurückliegenden Jahrzehnten. Mit Hilfe der Bürger wurden dafür Fotodokumente zusammengetragen. Ein Teil des Wasserrückganges geht auf den Tagebau Jänschwalde zurück,. Im vergangenen Jahr ordnete die Bergbehörde eine Wassereinleitung in drei Seen bis auf den Wasserstand von 2010 an. Wann der Tagebaueinfluss tatsächlich begann, ist umstritten, viele Nutzer des Pinnower Sees fordern einen höheren Wasserspiegel. Die Ausstellung ist bis August täglich 11 bis 20 Uhr zu sehen, die Zeitung „Die Kirche“ berichtete bereits.

8. Die Lausitz auf den Berliner Energietagen

Auf den 20. Berliner Energietagen hielt René Schuster von der GRÜNEN LIGA unter dem Titel „Die Ergebnisse der Kohle-Kommission und das Lausitzer Braunkohle-Revier“ einen von vier Diskussionsbeiträgen des Workshops „Wie weiter nach der Kohlekommission?“. Heute folgt ein Vortrag zu einem ähnlichen Thema bei der niedersorbischen wissenschaftlichen Gesellschaft Maśica serbska.

9. Wir am 2. Juni auf dem Umweltfestival

Beim größten Umweltfestival Europas am 2. Juni am Brandenburger Tor in Berlin wird auch die Umweltgruppe Cottbus mit einem Infostand zum Kohlewiderstand im Lausitzer Revier vertreten sein. Wir sind am Stand Nummer 55 am Beginn der Festmeile zu finden.

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