Rundbrief vom 28. Oktober 2019

1. Brandenburger Koalitionsvertrag: Planverfahren zur Rettung Proschims sofort beginnen

2. „Mühlrose bleibt!“: Tagebau-Betroffene aus ganz Deutschland trafen sich in der Lausitz

3. Strom aus Kohlekraftwerk Jänschwalde in Frankreich als Ökostrom vermarktet

4. neuer Vertrag über Wärmelieferungen aus Jänschwalde – mit oder ohne Kohle

5. Cottbuser Kunstprojekt widmet dem Klimakabinett ein Musikvideo

6. Online-Petition an sächsischen Landtag

7. Verhaltene Online-Beteiligung zum Lausitz-Leitbild

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Brandenburger Koalitionsvertrag: Planverfahren zur Rettung Proschims sofort beginnen

Am Freitag stellten SPD, CDU und Bündnisgrüne in Potsdam den für Brandenburg ausgehandelten Koalitionsvertrag der Öffentlichkeit vor. Die GRÜNE LIGA sieht in dem Vertrag deutliche Fortschritte im Vergleich zur Vorgängerregierung. Zugleich kritisiert sie dass die wesentliche Verantwortung zur Rettung des Dorfes Proschim der Großen Koalition im Bund zugeschoben wird.

Die zugesagte Planungssicherheit für das Dorf Proschim lässt sich nur über eine Änderung des Braunkohlenplanes herstellen. Mit dieser soll nun unnötigerweise auf ein Gesetz des Bundes gewartet werden. Sollte dort die große Koalition platzen, wäre das auf unbestimmte Zeit verzögert. Wir fordern die künftige Landesregierung auf, unverzüglich mit dem Planverfahren zur Rettung Proschims zu beginnen.

Im Koalitionsvertrag heißt es dazu:

„Mit dieser Koalition wird es keine neuen Tagebaue, keine Tagebauerweiterung und keine Umsiedlung von Dörfern mehr geben. Deswegen werden wir nach der Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes vom Bund unverzüglich die notwendigen landesplanerischen Änderungen vornehmen.“ (Hervorhebung: Grüne Liga)

Der Braunkohlenplan für den Tagebau Welzow-Süd II wurde 2014 vom rot-roten Landeskabinett beschlossen. Der Plan muss geändert werden, um ein Auslaufen des Tagebaues Welzow-Süd I vor Proschim festzuschreiben und die Gestaltung der Bergbaufolgelandschaft zu regeln. Braunkohlenpläne sind in Brandenburg Rechtsverordnungen der Landesregierung. Schon aufgrund des umfangreichen Planungsverfahrens, das einem solchen Beschluss vorangehen muss, ist weiteres Abwarten nicht zu verantworten.

Die weiteren Aussagen des Koalitionsvertrages zur Braunkohle kommentieren wir in einem fünfseitigen Hintergrundpapier.

„Mühlrose bleibt!“: Tagebau-Betroffene aus ganz Deutschland trafen sich in der Lausitz

Die bundesweite Initiative „Alle Dörfer bleiben“ traf sich am Wochenende in Proschim. Bewohner*innen der drei deutschen Braunkohlereviere berieten zwei Tage lang über gemeinsame Forderungen und Aktionen. Anwohnende des ebenfalls bedrohten Lausitzer Dorfes Mühlrose berichteten über die Situation vor Ort und mögliche Handlungsoptionen. Mehrere Einwohner*innen von Mühlrose bekräftigten, dass sie ihr Zuhause nicht freiwillig an den Bergbaukonzern LEAG verkaufen werden. Neben weiteren Demonstrationen, wie beispielsweise zum Klimastreik am 29.11.2019, wurden auch juristische Schritte nicht ausgeschlossen.

„Wir möchten in Mühlrose wohnen bleiben und werden unser Zuhause nicht aufgeben. In der Öffentlichkeit wird das jedoch totgeschwiegen. Es kann doch nicht sein, dass in Deutschland immer noch Dörfer vernichtet werden, um Braunkohle zu fördern – und das obwohl die LEAG ja nicht einmal eine Genehmigung für die bergbauliche Inanspruchnahme unseres Dorfes hat. Weil die Regierung uns im Stich lässt, sind wir sehr froh, dass wir nun Kontakt zu anderen Betroffenen aufgenommen haben. Dieser Austausch hat uns Mut gemacht für den Erhalt von Mühlrose einzutreten“, sagt Günter Zech aus Mühlrose.

Im Jahr 2020 plant „Alle Dörfer bleiben“ eine bundesweite Konferenz der Dörfer, zu der Menschen aller drei Reviere, aber auch Aktive aus der Klimagerechtigkeitsbewegung sowie weitere Fachleute eingeladen sind. Ein Schwerpunkt dieser Konferenz wird die Frage sein, wie die Braunkohleregionen nach dem Kohleausstieg lebenswert gestaltet werden können.

„Alle drei Regionen vereint die Tatsache, dass die Interessen der Bergbautreibenden nach klimaschädlicher Braunkohle von der jeweiligen Landesregierung höher bewertet werden als die Rechte der betroffenen Menschen. Deswegen kämpfen wir gemeinsam für den Erhalt der bedrohten Dörfer und die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele“, sagt Paul Boutmans aus Mönchengladbach – aktiv bei „Alle Dörfer bleiben – Rheinland“.

„Alle Dörfer bleiben“ ist ein deutschlandweites Bündnis, in dem Betroffene aller Braunkohle-Reviere und die Klimagerechtigkeitsbewegung gemeinsam gegen Zwangsumsiedlung und Klimazerstörung kämpfen. Die Initiative wurde vor einem Jahr im rheinischen Kohlerevier gegründet, war im Sommer in Pödelwitz bei Leipzig zu Gast und traf sich nun zum ersten Mal in der Lausitz. (Pressemitteilung ADb, Foto: C. Huschga)

Strom aus Kohlekraftwerk Jänschwalde in Frankreich als Ökostrom vermarktet

191018 jaenschwalde werbung und wirklichkeitDie GRÜNE LIGA protestiert entschieden dagegen, dass offenbar Strom aus dem Braunkohlenkraftwerk Jänschwalde französischen Kunden als Ökostrom verkauft wurde. Das ergaben Recherchen des Fernsehsenders France 2. Als Ökostrom wurde dabei offenbar derjenige Anteil der Stromerzeugung deklariert, der aus der Mitverbrennung von Klärschlamm stammt.

René Schuster, Braunkohle-Experte der GRÜNEN LIGA: "Selbst wenn die Zertifizierung formal korrekt sein sollte, ist nicht hinnehmbar, dass den Stromkunden hier ein Beitrag zur Energiewende suggeriert wird. Das Kraftwerk Jänschwalde gehört zu den klimaschädlichsten Kraftwerken Europas. Die Mitverbrennung von Müll und Klärschlamm ist dabei nur eine wirtschaftliche Stütze der Braunkohleverstromung."

Mit der Firma EkWateur hat einer von zwei Zwischenhändlern in Frankreich nach den Recherchen von france 2 bereits angekündigt, künftig keinen Strom aus Jänschwalde mehr zu beziehen. Der zweite Anbieter, Total direkt Energie scheint die Praxis dagegen weiterführen zu wollen. (Pressemitteilung vom 18.10.2019)

Fernsehbeitrag auf France 2

Hintergrundpapier der GRÜNEN LIGA zum Kraftwerk Jänschwalde

Neuer Vertrag über Wärmelieferungen aus Jänschwalde – mit oder ohne Kohle

Am 9. Oktober teilten die Stadt Cottbus und die LEAG in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit, man habe „eine Verlängerung der Fernwärmelieferung vom Kraftwerksstandort Jänschwalde bis zum Ende des Jahres 2032 vereinbart.“ Hier sollte offenbar während der Koalitionsverhandlungen ein plakatives Zeichen für eine scheinbare Unverzichtbarkeit der Kohleverstromung in Jänschwalde gesetzt werden.

Fakt ist dagegen: Ab 2024 will die LEAG nach eigenen Angaben in der Lage sein, die dafür benötigten Wärmemengen mit der geplanten Müllverbrennungsanlage abzusichern – und damit unabhängig von der Zukunft des benachbarten Braunkohlekraftwerks. (Wir veröffentlichten ausführliche Hintergründe zur geplanten Anlage am 10. April 2019)

Das Jahr 2032 tauchte schon vor zwei Jahren in der Diskussion um den Neubau des Cottbuser Heizkraftwerkes auf und hat vermutlich keinen anderen Hintergrund als das LEAG-Revierkonzept, wo diese Zahl völlig willkürlich als politische Verhandlungsmasse eingesetzt wurde. Der erste Teil dieser Verhandlung fand in der Kohlekommission statt und schließt längst einen Betrieb des Kraftwerkes nach 2029 aus. Sehr wahrscheinlich gibt es im neuen Wärmevertrag außerdem Vertragsklauseln für den Fall eines früheren Endes der Lieferungen (die Müllverbrennung ist ja noch nicht genehmigt), dann wäre das offizielle Vertragsende nur als politisches Symbol inszeniert. Dass Cottbus seinen Wärmebedarf auch anders decken könnte als mit Lieferungen aus Jänschwalde, haben die Stadtwerke mehrfach öffentlich betont.

Das alles wurde in der LEAG-Pressemitteilung natürlich nicht erwähnt. Erschreckend ist, dass praktisch alle Medien, die über den Vertrag berichteten, diesem Trick auch auf den Leim gingen. Beim kritischen Journalismus scheint in der Lausitz also noch etwas Strukturentwicklung nötig zu sein.

Cottbuser Kunstprojekt widmet dem Klimakabinett ein Musikvideo

191028 ZMOT screenshotDas Cottbuser Kunstprojekt „Zero Moment of Truth (ZMOT) hat dem Klimakabinett der Bundesregierung ein Lied gewidmet, das wir Euch nicht vorenthalten wollen. „Diesem verzagten Häuflein, das sich Klimakabinett nennt, muss ich sagen, dass mich eure Arbeit sehr enttäuscht hat. Vielleicht macht Euch dieses schöne Lied Mut.“ schreibt ZMOT zu seinem neuen kleinen youtube-Video.

Online-Petition an sächsischen Landtag

Während der Koalitionsverhandlungen fordert der BUND Sachsen in einer Online-Petition an den sächsischen Landtag ein Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Zielen, die Nutzung der Braunkohle schrittweise bis zum Jahr 2030 zu beenden, geplante Tagebauerweiterungen umgehend aufzugeben, die Orte Mühlrose, Pödelwitz und Obertitz zu erhalten, bestehende Tagebaue zu verkleinern und eine Möglichkeit zum beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien zu schaffen.

Verhaltene Online-Beteiligung zum Lausitz-Leitbild

Vom 7. September bis 18. Oktober lief die Online-Beteiligung der Zukunftswerkstatt Lausitz zu einem Leitbild für die Region (www.zw-lausitz.de/beteiligung ). Doch nach dieser Zeit hatten sich nicht einmal 50 Bürger*innen beteiligt und zu den drei Fragen genau 100 Kommentare abgegeben. Das dürfte ziemlich weit von der angestrebten Beteiligung der Lausitzer entfernt sein. Es kommen ganz verschiedene Erklärungen in Frage. Entweder

  1. Die Lausitzer sind viel zufriedener als gemeinhin behauptet,
  2. kaum einer traut dem von der Regierung eingesetzten Leitbildprozess ernsthaft Effekte auf seine Lebenswirklichkeit zu,
  3. die Zukunftswerkstatt Lausitz hat den Dialog falsch beworben oder einfach die falschen Fragen gestellt. So hätten möglicherweise konkretere Fragen zu Teilen der Lausitz mehr Interesse finden können als die Rettung der riesigen Region im Allgemeinen,
  4. die eigentlich viel zahlreicheren Menschen, die regelmäßig für und gegen den Kohleausstieg demonstrieren, sind noch nicht aus den Schützengräben gekommen und diskutieren erst dann konstruktiv über die Zukunft der Region, wenn ein Abschaltfahrplan für die Lausitzer Kraftwerke und Tagebaue feststeht und niemand mehr glaubt noch pokern zu müssen,
  5. wer konkrete Ideen hat, versucht damit im Wettlauf um die Strukturwandel-Gelder die Nase vorn zu haben und pfeift auf die gesellschaftliche Diskussion oder
  6. in der aktuellen Flut von Akteursbefragungen, Dialogformaten und Konferenzen schaffen es nicht mal die bezahlten Kräfte, an allem teilzunehmen, geschweige denn engagierte Ehrenamtler.

Vermutlich ist es wie so oft eine Mischung aus allen genannten und ein paar weiteren Ursachen.

 

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