Rundbrief vom 22. April 2015

1. Am Sonnabend Demonstrationen für und gegen die Kohle
2. Antworten des Wirtschaftsministeriums auf Fragen zum Klima-Papier
3. IG Metall distanziert sich deutlich von Braunkohle
4. Mehr als 50 führende Wissenschaftler für den Klimabeitrag
5. Kongress der Europäischen Freien Allianz tagte in Bautzen
6. Am 22. April in Bautzen: "Wer ist hier vermessen?" - Filmvorführung und Diskussion
7. Hintergrund: Annahmen des IGBCE-Gutachtens zum Klimabeitrag nicht haltbar

1. Am Sonnabend Demonstrationen für und gegen die Kohle

Am 25. April findet nicht nur die Menschenkette gegen Tagebaue im Rheinland statt (www.anti-kohle-kette.de). Am gleichen Tag will nun auch die Bergbau-Gewerkschaft IGBCE in Berlin gegen wirksamen Klimaschutz demonstrieren (was sie natürlich nicht so beim Namen nennt). Die Sorgen der Tagebau- und Kraftwerksbeschäftigten werden dabei angestachelt und instrumentalisiert. Vattenfall holt seine Mitarbeiter mit Bussen von allen Betriebsstandorten ab. Zugunsten der Demonstration in Berlin wurde sogar der jährliche Frühjahrs-Crosslauf auf der Bärenbrücker Höhe abgesagt, der an diesem Tag stattfinden sollte. (Der Crosslauf wurde schon immer als Werbeveranstaltung für den Bergbau benutzt, denn die Bärenbrücker Höhe ist die Außenkippe der Tagebaue Cottbus-Nord und Jänschwalde). Derweil muss der durchschnittliche kohlekritische Demonstrant ins eigene Portemonaie greifen, um einen Beitrag zur Busfahrt zur Menschenkette zu leisten. Wer das im Einzelfall finanziell nicht kann, für den werden wir aber eine Lösung finden – noch sind Anmeldungen zur Lausitzer Fahrt ins Rheinland möglich. Hier ein Gastbeitrag von Franz Alt auf www.Klimaretter.de, mit dem er zur Teilnahme an der Anti-Kohle-Kette aufruft:
http://www.klimaretter.info/standpunkte/18590-das-endspiel-um-die-kohle-hat-begonnen

2. Antworten des Wirtschaftsministeriums auf Fragen zum Klima-Papier

Nach Erscheinen des Klima-Papiers des Bundeswirtschaftsministeriums hatte die Bundestagsfraktion der CDU/CSU das Ministerium mit einem umfangreichen Fragenkatalog konfrontiert. Die Antworten liegen inzwischen vor und sind auch öffentlich im Internet einsehbar.
Natürlich darf die Frage nicht fehlen, was wohl sei, wenn „a. kein Wind weht? b. keine Sonne scheint? c. weder Wind- noch Sonnenstrom zur Verfügung stehen?“ Die Bundesregierung schreibt dazu unter anderem:
„Die Auffassung, Versorgungssicherheit wäre nur dann ausreichend gewährleistet, wenn bei einer nationalen Betrachtung zu jedem Zeitpunkt ausreichend konventionelle Kraftwerksleistung zur Deckung einer von Preissignalen des Großhandelsmarktes vollständig abgekoppelten Nachfrage zur Verfügung stehe, entspricht weder den heutigen und erst recht nicht den zukünftigen Realitäten.“
Drei Dokumente des Wirtschaftsministeriums sind hier abrufbar:
http://www.bmwi.de/DE/Themen/energie,did=701240.html

3. IG Metall distanziert sich deutlich von Braunkohle

Die Gewerkschaften sind sich keinesfalls einig in der Bewertung des Klima-Papiers. Verdi-Chef Bsirske sah sich nach seinem Kohle-Alleingang in Interviews um das Osterwochenende in der eigenen Gewerkschaft deutlicher Kritik ausgesetzt. Die Süddeutsche Zeitung vom 20. April berichtet nun über einen Brief der IG Metall aus Emden an Wirtschaftsminister Gabriel und IG BCE-Chef Vasiliadis. Darin heißt es: "Wir plädieren dafür, den Kolleginnen und Kollegen der Kohleindustrie reinen Wein einzuschenken". Strom aus Braunkohle sei "als Klimakiller nicht mehr zu verantworten" und der Strukturwandel überfällig. "Wir meinen, jedes Bundesland kann ohne Braunkohle und jedes Bundesland muss ohne Braunkohle auskommen." Wichtig sei, "den notwendigen nachhaltigen Umbau frühzeitig, entschlossen und konstruktiv anzugehen". (Der Artikel „Metall gegen Kohle“ ist leider im Internet nicht kostenlos abrufbar.)

4. Mehr als 50 führende Wissenschaftler für den Klimabeitrag

Mehr als 50 namhafte Ökonomen und Energiewissenschaftler haben sich in einem offenen Brief für das vom Bundeswirtschaftministerium vorgeschlagene Instrument des „Klimabeitrags“ ausgesprochen. Die Einführung eines ergänzenden nationalen Instruments, das die Emissionen des Stromsektors reduziert sei dringend erforderlich. Die Wissenschaftler bekräftigten zudem, dass der „Klimabeitrag“ einen sanften Beginn des Strukturwandels darstellt, der die notwendige Reduzierung der Kohleverstromung sehr langsam einleitet. Die Erklärung ist noch für weitere Unterzeichner offen:
http://www.foes.de/pdf/Wissenschaftler-fuer-Klimabeitrag.pdf

5. Kongress der Europäischen Freien Allianz tagte in Bautzen

Die Europäische Freie Allianz (EFA) hat am vergangenen Wochenende auf Einladung der Lausitzer Allianz/Łužyska Alianca ihre jährliche Hauptversammlung in der Lausitz abgehalten und sich dabei unter anderem mit der Kohleproblematik beschäftigt. Betroffene wie Edith Penk aus Rohne, Hannelore Wodtke aus Proschim und der Biologe Jens Kießling vom Aktionsbündnis „Klare Spree“ schilderten den internationalen Gästen die Folgen der Braunkohlengewinnung in der Region. Am Tagebau Nochten machten sich die Delegierten selbst ein Bild von der Landschaftszerstörung durch den Tagebau. „Dieser skandalöse Zustand mit allen seinen Facetten beschädigt das europäische Ansehen der Bundesrepublik, sowie der Länder Sachsen und Brandenburg! Er dokumentiert einen der größten Umwelt- und ethnischen Skandale in Europa. Die EU-Parlamentsfraktion der Grünen/EFA wird auf Europäischer Ebene auf eine Änderung des menschenfeindlichen und gemeinwohlschädlichen Bergrechtes in Deutschland drängen und dafür Sorge tragen, daß es die Gesetze aus der Nazizeit nicht weiter ermöglichen, das Siedlungsgebiet kleiner Völker zu vernichten!“ wird der Präsident der EFA in einer Pressemitteilung zitiert. An der Konferenz nahmen seitens der EFA ca. 150 Delegierte aus 17 Ländern und über 30 europäischen Regional- und Minderheitenparteien teil, darunter 12 Abgeordnete des EU-Parlaments, 2 Minister von Staatsregierungen sowie viele Mitglieder regionaler Regierungen und Kommunalpolitiker.

6. Am 22. April in Bautzen: Wer ist hier vermessen? - Filmvorführung und Diskussion

Das Deutsch-Sorbische Volkstheater Bautzen lädt heute abend ein zur Filmvorführung "BLAUBEEREN – ČERNE JAGODY" um 19.30 Uhr im Burgtheater. In Anwesenheit der Autoren Maja Nagel und Julius Günzel wird deren Dokumentarfilm gezeigt. Im Anschluss daran findet zum Thema „Wer ist hier vermessen?“ eine Diskussion zum Film und zur aktuellen Inszenierung „Mój wuměrjeny kraj“ (Mein vermessenes Land) von Jurij Koch statt. Die Moderation des Abends übernimmt Lutz Hillmann, Intendant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen. Die aktuelle sorbische Inszenierung wird nochmal am 3. Mai, 17 Uhr mit Simultanübersetzung ins Deutsche im großen Haus aufgeführt.

7. Hintergrund. Annahmen des IGBCE-Gutachtens zum Klimabeitrag nicht haltbar

Die Bergbaugewerkschaft IGBCE legte in der vergangenen Woche ein Gutachten der Investmentbank Lazard vor, dass auftragsgemäß „belegte“, dass es durch den geplanten Klimabeitrag zu einem Dominoeffekt kommen und faktisch alle Braunkohle-Kraftwerksblöcke unwirtschaftlich würden. Auch der Wirtschaftsminister von Brandenburg Albrecht Gerber betätigte sich als artiger Papagei. Interessanterweise war das Gutachten zu diesem Zeitpunkt nirgends im Internet zu finden. Eine kritische Prüfung der getroffenen Annahmen sollte offenbar erst möglich sein, wenn die „Ergebnisse“ der Studie bereits in den Zeitungen stehen. Am Montag dieser Woche gab der sächsische Landtagsabgeordnete Dr. Gerd Lippold in einem Blogbeitrag den Herren Gerber & Co. Nachhilfeunterricht, den wir hier gern wiedergeben: Die Resultate der IGBCE-Studie “Potenzielle Auswirkungen des nationalen Klimaschutzbeitrags auf die Braunkohlewirtschaft“ sind als Argumente gegen das Eckpunktepapier aus dem Bundeswirtschaftsministerium untauglich. Sie überschätzen systematisch und durchaus gezielt die Auswirkungen eines Klimaschutzbeitrags auf den existierenden Kraftwerkspark. Das Ziel besteht in der Bereitstellung einer scheinbar objektiven Rechtfertigung für das Spiel der IGBCE Führung mit Angst und Unsicherheit. Wo liegen die Fehler? Hier ein kleiner Einblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Fehler 1: „Weglassen“ einer besonders wichtigen Konsequenz.
Die Studie lässt eine besonders wichtige Auswirkung einfach ganz weg. Sie ignoriert den Effekt, den die Herausnahme mehrerer Gigawatt Braunkohlestrom-Überkapazität an der Strombörse hätte. Die durchschnittlichen Börsenstrompreise würden nämlich steigen, die Preisschwankungen verstärkt. Beide Effekte bedeuten nicht nur bessere Marktchancen für moderne Gaskraftwerke, sondern auch bessere Margen für die dann noch existierenden Kohlekraftwerke. Auch innerhalb des Erzeugerportfolios einzelner Versorger würde das sogar zu verbesserter Ertragssituation führen! Unternehmen bauen Arbeitsplätze ab, wenn die Ertragssituation schlechter wird. Mit verbesserter Ertragssituation hingegen haben sie die Chance, Arbeitsplätze durch Investition in anderen Geschäftsfeldern auch dann zu sichern und sogar zusätzlich zu schaffen, wenn die verbesserte Ertragslage aus der Stilllegung einzelner alter Aktivitäten resultiert.

Fehler 2: „Doppelbelastung“ konstruiert, wo keine ist.
Die Studie rechnet damit, dass zum derzeit üblichen CO2-Zertifikatepreis von etwa 7 EUR/t eine Klimaschutzabgabe von 19 EUR/t zu addieren sei. Schon sehr früh nach Veröffentlichung des Eckpunktepapiers wurde hingegen klar gemacht, dass diese Doppelbelastung nicht geplant sei.

Fehler 3: Konstruktion einer Belastung auch für Strommengen, die innerhalb der Freigrenze liegen.
Bei der Kalkulation wird so getan, als wäre für erzeugten Strom grundsätzlich eine Abgabe von 19 EUR/t CO2 zu zahlen. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr existiert eine Freigrenze. Diese liegt bei 7 Mio. t/GW Kapazität für ein Kraftwerk im 21. Jahr und 3 Mio. t/GW im 40. Jahr mit linearer Abnahme dazwischen. Das bedeutet, dass ein typisches Braunkohlenkraftwerk im 21. Jahr noch immer 7000 Stunden im Jahr Volllast laufen kann, ohne einen einzigen Cent zusätzlich zu zahlen. Ein 40 Jahre altes Kraftwerk immerhin noch 3000 Stunden. Nur für den Strom aus den darüber hinaus gefahrenen Betriebsstunden wäre die Abgabe fällig.

Fehler 4: Annahme, die Brennstoffkosten seien nicht am Markt variabel.
Die Studie lässt unberücksichtigt dass die Aufteilung der Margen zwischen Tagebau und Kraftwerk aushandelbar ist. Wenn ein Kraftwerk als einziger Abnehmer unwirtschaftlicher wird, dann würde ein Tagebaubetreiber in der realen Wirtschaft zunächst seine Margen kürzen, um den Kunden und damit sein eigenes Geschäft zu erhalten. Insofern ist die Kostensituation für das Kraftwerk keineswegs fix.

Fehler 5: „Weglassen“ weiterer Erlösquellen.
Weitere, attraktive Erlösquellen der konventionellen Kraftwerke, etwa durch Teilnahme am Regelenergiemarkt, werden „weggelassen“. Gerade sie könnten aber für Kohlekraftwerke, die durch Investitionen besser „Energiewendetauglich“ gemacht werden, die wirtschaftlichen Aussichten besser darstellen als in der Studie.

Fehler 6: Ignorieren der Möglichkeiten durch verändertes Agieren am Markt.
Optionen für anderes Verhalten am Strommarkt wurden nicht berücksichtigt. Die ausschließliche Vorab-Vermarktung am Terminmarkt könnte durch ein intelligenteres, Energiewende-tauglicheres Agieren am Markt ersetzt werden, dass die durchschnittlichen Erlöse je MWh verbessert.

Der zusätzliche “Fehler der Fehler”, durch IGBCE selbst gemacht: Generalisierung von Annahmen, die in Wirklichkeit nur für einen Teil der Kraftwerke zutreffen.
Die Studie rechnet mit ihren (falschen) Annahmen hypothetische (falsche) Kostenprognosen für alle 38 deutschen Braunkohlekraftwerksblöcke. Dabei ist jedoch völlig klar, dass das Eckpunktepapier überhaupt nur für eine Alterskohorte Regelungen trifft – nämlich für die Kraftwerke, die 2017 älter als 20 Jahre sind. Die maximalen Konsequenzen hat das Eckpunktepapier nur für die Kraftwerke, die 2017 40 Jahre alt und älter sind.
Der IGBCE ist das egal. Aus dem (falschen) Studienergebnis, dass fast alle Kraftwerksblöcke unwirtschaftlich würden, wenn denn alle Kraftwerksblöcke betroffen wären, schlussfolgert die IG BCE, es WÄREN alle heute betroffen und fast alle würden somit umgehend unwirtschaftlich.

Fazit:
Die Studie ist in ihren Aussagen zu den wirtschaftlichen Konsequenzen des Eckpunktepapiers aus dem Wirtschaftsministerium so fehlerhaft, dass sie keinerlei Stütze für die Schlussfolgerungen der IGBCE-Führung darstellen kann. Gleichwohl werden die Aussagen der Studie nicht nur benutzt, um die Klimaschutzabgabe grundsätzlich anzugreifen, sie werden sogar noch über die Studie hinaus überdehnt. Mit einer derart unseriösen Vorgehensweise tut sich die IGBCE selbst keinen Gefallen. Man mag zwar die eigenen Reihen mit solchen Pseudo-Argumenten schließen können, im Wettstreit der Argumente bei der ernsthaften Suche nach einem optimalen Weg zur Erreichung der Klimaschutzziele UND der Reparatur des Strommarktes hingegen hat sich die IGBCE damit gründlich disqualifiziert.

(Quelle: http://blog.gerd-lippold.info/?p=99EK )

Der Rundbrief als pdf (4 S., 197 kB)

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